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Kommentar: Red Hat und die Parasiten

23. Juni 2023 um 06:47

Die Einstellung des Git-Repos mit den RHEL-Quellen (siehe auch Ärger für Red-Hat-Klone) hat im Netz erwartungsgemäß für hitzige Diskussionen gesorgt. Ein wenig irritiert haben mich die Kommentare auf lwn.net, eigentlich der seriösesten Linux-News-Quelle: Dort wurden AlmaLinux, Rocky Linux und speziell Oracle von manchen Autoren als »Parasiten« bezeichnet.

Nun ist es unbestritten, dass die Zusammenstellung einer Distribution wie RHEL mit richtig viel Arbeit verbunden ist. Noch viel mehr Mühe bereitet es, das Software-Angebot über 10 Jahre zu warten und auch bei veralteter Software Sicherheits-Patches rückzuportieren. (Python 2.7 ist ein klassisches Beispiel.)

Wenn nun die RHEL-Klone die Quellen einfach kopieren und daraus ein kostenloses Produkt machen (oder, wie im Falle von Oracle, wahlweise kostenlos oder kostenpflichtig mit Support), ist das noch fair? Ist die Bezeichnung »Parasiten« womöglich zutreffend?

Anmerkung: Dieser Artikel wurde zwischen 23.6. und 24.6.2023 mehrfach aktualisiert.

Open Source ist keine Einbahnstrasse

ABER: Linux ist Open-Source-Software. Und das gilt nicht nur für den Kernel, das gilt auch für alle weitere Komponenten: Apache, NGINX, PHP, PostgreSQL, Samba, Postfix, Java, die Bash, der C-Compiler, Python, GRUB usw. Ich könnte hier vermutlich 1000 Open-Source-Komponenten aufzählen, die in RHEL zum Einsatz kommen. Ja, Red Hat arbeitet intensiv an manchen Open-Source-Projekten mit (dem Kernel, systemd, Gnome usw.) und unterstützt viele weitere finanziell. Von anderen Projekten profitiert es, ohne etwas zurückzugeben.

Dazu noch eine Anmerkung aus meiner beruflichen Praxis: Red Hat hat mit Podman ein Konkurrenzprodukt zu Docker geschaffen. Beide Programme stehen unter Open-Source-Lizenzen, beide halten sich an den öffentlichen OCI-Standard und beide funktionieren großartig. In der Presse genießt Docker aber einen zweifelhaften Ruf, weil es versucht, Geld zu verdienen. (Gerade c’t und iX bzw. einige Heise-Autoren sind sehr Docker-kritisch eingestellt.) Übersehen wird dabei: Die Firma Docker betreibt — mit beträchtlichem finanziellem Aufwand — den Docker Hub, die weltweit größte Quelle von Container-Images. Red Hat betreibt zwar auch Registries für ein paar eigene Software-Projekte, aber davon abgesehen gilt: Wer Podman anwendet, bezieht in aller Regel die Images vom Docker Hub (also von docker.io) und verursacht so weitere Kosten für Docker. Red Hat und Podman sind hier also Nutznießer einer Infrastruktur, die von einer anderen Firma geschaffen wurde. (Und ja, das ist Open Source. Das bessere Angebot wird sich langfristig durchsetzen.)

Das Open-Source-Modell funktioniert dann am besten, wenn Einsatz/Aufwand und Nutzen einigermaßen fair verteilt sind. Das Linux-Ökosystem als Ganzes profitiert von erfolgreichen Open-Source-Firmen, und Red Hat war ohne Zweifel die erfolgreichste. (Seit 2018 ist Red Hat Teil von IBM.) Red Hat wiederum profitiert vom riesigen Angebot exzellent gewarteter Open-Source-Software.

Wenn nun umgekehrt kleine Entwickler, Organisationen ohne riesige Finanzmittel, Schulen usw. RHEL-kompatible Software über den Umweg von AlmaLinux, Rocky Linux und Co. kostenfrei nutzen dürfen, erscheint mir das fair. Wiederum profitieren alle, letztlich sogar Red Hat bzw. IBM, weil ihre Software von vielen Anwendern genutzt und getestet wird, weil Studenten die Administration von RHEL-kompatiblen Systemen lernen (und nicht etwas die von Debian oder Ubuntu) usw.

Ohne Not in den Shit Storm

Der Schritt von Red Hat, die Quellen zu RHEL (soweit es GPL-technisch überhaupt möglich ist) zu kappen, wäre verständlich, wenn man sich um die finanzielle Stabilität von Red Hat Sorgen machen müsste. Aber soweit man den Finanzberichten trauen kann, ist das nicht der Fall. IBM hat 2018 Red Hat für 34 Mrd. Dollar gekauft. Damals machte Red Hat 2,9 Mrd Dollar Umsatz und 259 Mil. Dollar Gewinn (Quelle). Seither werden keine eigenen Red-Hat-Zahlen mehr veröffentlicht, aber die Red-Hat-Sparte innerhalb von IBM hat sich offenbar prächtig weiterentwickelt (Quelle). Red Hat kämpft also nicht um sein finanzielles Überleben. Eher ist es wohl die Gier (IBMs?), aus einem gut gehenden Geschäft noch mehr rauszuholen. Auch wenn dabei die Fairness auf der Strecke bleibt.

Und eines muss man schon sagen: Das Timing ist bösartig, ein freundlicheres Wort fällt mir nicht ein. Sowohl die Kommunikation über das CentOS-Ende (Ende 2020) als auch der Stopp der Veröffentlichung der RHEL-Quellen unter git.centos.org (Juni 2023) erfolgte jeweils äußerst kurzfristig mitten im Release-Zyklus. Es ist beabsichtigt, die Anwender von (damals) CentOS und (heute) AlmaLinux, Rocky Linux, Oracle Linux ganz bewusst zu verunsichern und vor den Kopf zu stoßen.

fosspost.org hat die Aktion Red Hat als Schuss ins Knie bezeichnet. Mir erscheint diese Einschätzung zutreffend. Ansible-Entwickler Jeff Geerling fragt: »Are you dumb?« und überlegt, ob er sich überhaupt noch die Mühe machen soll, RHEL zu unterstützen (also z.B. Fehlermeldungen zu bearbeiten, die sich auf RHEL beziehen).

Als Red Hat das CentOS-Projekt in seiner bisherigen Form stoppte, hatte ich Sorgen um die freie Verfügbarkeit von RHEL-Klonen. Dann erlebte das Konzept in Form von AlmaLinux und Rocky Linux eine Wiedergeburt und funktioniert heute besser denn je. Womöglich wird sich dieses Spiel wiederholen. An den Regeln der GNU Public Licence geht auch für Red Hat/IBM kein Weg vorbei. Sicher ist aber schon jetzt: Red Hat (IBM) verliert in der Open-Source-Community gerade massiv Reputation und Gunst.

Quellen/Links

Reaktionen

»Parasiten«-Diskussion

Finanzielle Daten zu Red Hat

Ärger für Red-Hat-Klone

22. Juni 2023 um 06:08

Red Hat Enterprise Linux (RHEL) besteht aus Open-Source-Code, der öffentlich zugänglich ist. Diesen Umstand nutzen AlmaLinux, Oracle Linux, Rocky Linux und einige weitere Distributionen, um zu RHEL kompatible Distributionen anzubieten. Es ist verständlich, dass dies Red Hat (oder noch mehr IBM?) ein Dorn im Auge ist. Die Klons funktionieren so gut wie das Original, und wer keinen Support braucht oder mit externen Support-Angeboten das Auslangen findet, kann sich viel Geld für Lizenzen sparen.

Nachdem Red Hat schon 2020 das CentOS-Projekt (quasi einen Red-Hat-eigener RHEL-Klon) beendet hat und durch das für den Produktivbetrieb weniger attraktive CentOS Stream ersetzt hat, hat die Firma Ende Juni verkündet, den öffentlichen Zugang auf die RHEL-Quellen unter https://git.centos.org zu beenden. Den RHEL-Quellcode erhalten dann möglicherweise nur noch zahlende Kunden. Das Ganze wurde in bestem Marketing-Sprech als Aufwertung des CentOS-Stream-Projekts verkündet. Die zentrale Aussage lautet: CentOS Stream will now be the sole repository for public RHEL-related source code releases.

Aktuell ist noch unklar, was das für AlmaLinux, Rocky Linux & Co. bedeutet. Grundsätzlich könnten die hinter den Projekt stehenden Organisationen einfach ein RHEL-Abo abschließen. Die Frage ist aber, in welcher Form der Zugang auf den Quellcode dann erfolgt (über SRPM-Pakete?), und wie flott diese Pakete aktualisiert werden. Letztlich könnte die ganze Aktion darauf hinauslaufen, die natürlich weitgehend automatisierten Build-Prozesse der Klone zu behindern oder zu verzögern.

Eine weitere Frage ist, ob irgendwelche EULA-Regeln die Verwendung dieses Codes zum Nachbau anderer Distributionen verbieten können. Das erscheint mir — ohne juristisches Wissen — eher unwahrscheinlich. Es galt immer und es gilt weiterhin die GNU Public License.

Es bleibt also spannend. AlmaLinux verkündet auf Twitter: Don’t panic. Wahrscheinlich eine gute Idee.

Quellen/Links

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